Gaius Suetonius Tranquillus
Divus Claudius (10 v.Chr.- 54 n.Chr.)
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valign="top" class="s80">Drusus,
der Vater des Claudius
Caesar, hieß mit Vornamen erst Decimus, dann Nero. Livia,
die bereits schwanger war, als sie Augustus heiratete,
gebar ihn im dritten Monat nach der Hochzeit; dabei bestand der Verdacht,
er sei ein leiblicher Sohn seines Stiefvaters,
den er in außerehelichem Umgang gezeugt habe. Jedenfalls verbreitete
sich sogleich der (griechische) Vers: "Wem hold das Glück,
der kriegt auch ein Dreimonatskind!"
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(1,1)
Patrem Claudi Caesaris Drusum, olim Decimum mox Neronem praenomine,
Livia, cum Augusto gravida nupsisset, intra mensem tertium peperit,
fuitque suspicio ex vitrico per adulterii consuetudinem procreatum.
statim certe vulgatus est versus: τοῖς εὐτυχοῦσι καὶ τρίμηνα παιδία. |
valign="top" class="s80">Dieser Drusus war während seiner Quästur und Prätur Oberbefehlshaber
im rätischen, dann im germanischen Krieg und der
erste römische Feldherr, der den nördlichen Ozean befuhr
und über dem Rhein neuartige Kanalarbeiten ausführte, ein ungeheures Werk, das noch heute seinen Namen trägt.
Häufig schlug er den Feind, trieb ihn in die innerste Wildnis
zurück und hörte erst auf, ihn zu verfolgen, als die übermenschlich
große Erscheinung eines Barbarenweibes dem Sieger in lateinischer
Sprache weiterzugehen verbot. |
(1,2)
is Drusus in quaesturae praeturaeque honore dux Raetici, deinde Germanici
belli Oceanum septemtrionalem primus Romanorum ducum navigavit transque
Rhenum fossas novi et immensi operis effecit, quae nunc adhuc Drusinae
vocantur. hostem etiam frequenter caesum ac penitus in intimas solitudines
actum non prius destitit insequi, quam species barbarae mulieris humana
amplior victorem tendere ultra sermone Latino prohibuisset. |
valign="top" class="s80">Für diese Leistungen erhielt
er das Recht der Ovation und die Triumphabzeichen. Nach der Prätur
trat er sofort das Konsulat an, nahm den Feldzug wieder auf und starb
an einer Krankheit in dem Sommerlager, das danach das "verfluchte
Lager" hieß. Sein Leichnam wurde von den angesehensten
Personen der Munizipien und Kolonien bis zum Stadtrand von Rom getragen,
wo ihn die Dekurien der Schreiber übernahmen; begraben wurde
er auf dem Marsfeld. Außerdem errichtete ihm das Heer einen Ehrenhügel,
um den seitdem jährlich an einem festen Tag die Truppe einen
feierlichen Umzug hielt und die gallischen Gemeinden von Staats wegen Festopfer veranstalteten. Außerdem
beschloss der Senat unter vielem anderem, an der Appischen
Straße einen marmornen, mit Siegeszeichen geschmückten
Triumphbogen zu errichten und ihm selbst und seinen Nachkommen den
Beinamen Germanicus zu verleihen. |
(1,3)
quas ob res ovandi ius et triumphalia ornamenta percepit; ac post
praeturam confestim inito consulatu atque expeditione repetita supremum
diem morbo obiit in aestivis castris, quae ex eo Scelerata sunt appellata.
corpus eius per municipiorum coloniarumque primores suscipientibus
obviis scribarum decuriis ad urbem devectum sepultumque est in campo
Martio. ceterum exercitus honorarium ei tumulum excitavit, circa quem
deinceps stato die quotannis miles decurreret Galliarumque civitates
publice supplicarent. praeterea senatus inter alia complura marmoreum
arcum cum tropaeis via Appia decrevit et Germanici cognomen ipsi posterisque
eius. |
valign="top" class="s80">Er war aber, wie man glaubt,
nicht weniger auf kriegerischen Ruhm aus als bürgerfreundlich
gesonnen. Denn zusätzlich zum Sieg über den Feind habe er
immer auch nach persönlicher Waffenbeute gestrebt und nicht selten einen germanischen Heerführer unter
Lebensgefahr über das ganze Schlachtfeld verfolgt; andererseits
habe er nie verhehlt, dass er, sobald er könne, die alte republikanische
Verfassung wiederherstellen werde. Daher nahmen, glaube ich, einige
den Mut zu überliefern, er sei Augustus verdächtig gewesen, von ihm aus der Provinz abberufen und, weil
er zögerte, mit Gift aus dem Weg geräumt worden. |
(1,4)
fuisse autem creditur non minus gloriosi quam civilis animi; nam ex
hoste super victorias opima quoque spolia captasse summoque saepius
discrimine duces Germanorum tota acie insectatus; nec dissimulasse
umquam pristinum se rei publicae statum, quandoque posset, restituturum.
unde existimo nonnullos tradere ausos, suspectum eum Augusto revocatumque
ex provincia et, quia cunctaretur, interceptum veneno. |
valign="top" class="s80"> Dies habe ich mehr erwähnt,
um es nicht zu übergehen, als weil ich es für wahr oder
auch nur für wahrscheinlich hielte; denn Augustus hat seinen Stiefsohn nicht nur, so lange er lebte, so sehr geliebt,
dass er ihn bei jeder Gelegenheit zum Miterben seiner eigenen Kinder
erklärte, wie er das einmal im Senat ausgesprochen hat, sondern
flehte auch in der öffentlichen Lobrede, die er ihm nach seinem
Tod hielt, die Götter an, sie möchten seine beiden
Caesaren dem Verstorbenen ähnlich machen und ihm selbst dereinst
einen ebenso ehrenvollen Tod gewähren, wie sie ihn jenem gewährt
hätten. Ja, es war ihm nicht einmal genug, die rühmende
Inschrift für seinen Grabhügel selbst zu verfassen und in
Erz zu gießen, sondern er verfasste eigens noch in Prosa eine
Denkschrift über sein Leben. |
(1,5)
quod equidem magis, ne praetermitterem, rettuli, quam quia verum aut
veri simile putem, cum Augustus tanto opere et vivum dilexerit, ut
coheredem semper filiis instituerit, sicut quondam in senatu professus
est, et defunctum ita pro contione laudaverit, ut deos precatus sit, similes ei Caesares suos facerent
sibique tam honestum quandoque exitum darent, quam illi dedissent.
nec contentus elogium tumulo eius versibus a se compositis insculpsisse,
etiam vitae memoriam prosa oratione composuit. |
valign="top" class="s80">Von Antonia
der Jüngeren hatte er zwar etliche Kinder, aber nur drei
überlebten ihn: Germanicus, Livilla und Claudius. |
(1,6)
Ex Antonia minore complures quidem liberos tulit, verum tres omnino
reliquit: Germanicum, Livillam, Claudium. |
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valign="top" class="s80">Claudius wurde unter dem Konsulat des lullus
Antonius und des Fabius
Africanus am 1. August zu Lugdunum geboren, am selben Tag, an dem dort dem Augustus zum ersten Mal ein Altar errichtet wurde, und erhielt die Namen Tiberius
Claudius Drusus. Bald darauf, als sein älterer Bruder in die
Iulische Familie adoptiert wurde, nahm er dazu den Namen Germanicus
an. Schon als zartes Kind verlor
er den Vater, und während der ganzen Zeit seiner Kindheit
und Jugend hatte er mit vielfachen, hartnäckigen Krankheiten
zu kämpfen, wodurch Körper und Geist zugleich so geschwächt
wurden, dass man selbst im vorgerückten Mannesalter glaubte,
er sei für keinerlei öffentliche oder private Aufgabe geeignet. |
(2,1)
Claudius natus est Iullo Antonio Fabio Africano consulibus Kal. Aug.
Luguduni eo ipso die, quo primum ara ibi Augusto dedicata est, appellatusque
Tiberius Claudius Drusus. mox fratre maiore in Iuliam familiam adoptato
Germanici cognomen assumpsit. infans autem relictus a patre ac per
omne fere pueritiae atque adulescentiae tempus variis et tenacibus
morbis conflictatus est, adeo ut animo simul et corpore hebetato ne
progressa quidem aetate ulli publico privatoque muneri habilis existimaretur. |
Lange noch, selbst als er mündig
geworden war, stand er unter fremder Vormundschaft und unter der
Aufsicht eines Erziehers. Über diesen klagt er selbst in einer
seiner Schriften, er sei ein Barbar, ehemaliger Stallaufseher und
ihm mit Bedacht beigegeben worden, um ihn bei aller und jeder Gelegenheit
auf das grausamste zu züchtigen. Wegen eben dieser Kränklichkeit
führte er auch bei dem Gladiatorenspiel, das er zusammen mit
seinem Bruder zum Gedenken an seinen Vater gab, den Vorsitz in einem Kapuzenmantel,
was ohne Beispiel war; und an dem Tag, an dem er die Männertoga
anlegte, trug man ihn um Mitternacht ohne feierliche Begleitung
in einer Sänfte auf das Capitol.
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(2,2)
diu atque etiam post tutelam receptam alieni arbitrii et sub paedagogo
fuit; quem barbarum et olim superiumentarium ex industria sibi appositum,
ut se quibuscumque de causis quam saevissime coerceret, ipse quodam
libello conqueritur. ob hanc eandem valitudinem et gladiatorio munere,
quod simul cum fratre memoriae patris edebat, palliolatus novo more
praesedit; et togae virilis die circa mediam noctem sine sollemni
officio lectica in Capitolium latus est. |
Gleichwohl beschäftigte er sich von
früher Jugend an mit nicht geringem Eifer mit Wissenschaft und
Bildung und gab im einzelnen davon häufig sogar öffentliche
Proben. Doch auch so gelang es ihm nicht, zu irgendwelchem Ansehen
zu gelangen oder eine bessere Hoffnung auf seine Zukunft zu wecken. |
(3,1)
disciplinis tamen liberalibus ab aetate prima non mediocrem operam
dedit ac saepe experimenta cuiusque etiam publicavit. verum ne sic
quidem quicquam dignitatis assequi aut spem de se commodiorem in posterum
facere potuit. |
Seine eigene Mutter Antonia nannte ihn häufig eine "Missgeburt von Mensch" und
sagte von ihm, die Natur habe ihn nur begonnen, nicht vollendet; und
wenn sie jemandem Dummheit vorwerfen wollte, pflegte sie zu sagen,
er sei einfältiger als ihr Sohn Claudius.
Seine Großmutter Augusta behandelte ihn stets mit höchster Verachtung und redete mit ihm
nur in den seltensten Fällen, und wenn sie ihn zu ermahnen hatte,
so geschah es immer in einer kurzen und bitteren Notiz oder mündlich
durch dritte. Seine Schwester Livilla verwünschte, als sie hörte,
dass er einst regieren werde, laut und öffentlich ein so ungerechtes
und unwürdiges Geschick des römischen Volkes. Damit man
schließlich besser erkenne, wie sein Großonkel Augustus im guten und bösen über ihn urteilte, setze ich ausrücklich
einige Stellen aus seinen Briefen hierher: |
(3,2)
Mater Antonia portentum eum hominis dictitabat, nec absolutum a natura,
sed tantum incohatum; ac si quem socordiae argueret, stultiorem aiebat
filio suo Claudio. avia Augusta pro despectissimo semper habuit, non
affari nisi rarissime, non monere nisi acerbo et brevi scripto aut
per internuntios solita. soror Livilla cum audisset quandoque imperaturum,
tam iniquam et tam indignam sortem populi Romani palam et clare detestata
est. nam avunculus maior Augustus quid de eo in utramque partem opinatus
sit, quo certius cognoscatur, capita ex ipsius epistulis posui. |
„Ich habe deinem Verlangen gemäß,
liebe Livia,
mit Tiberius Rücksprache darüber genommen, wie es mit deinem Enkel Tiberius
(Claudius) bei den Festspielen
des Mars gehalten werden soll. Wir sind beide darin einig, dass
wir ein für allemal die Grundsätze festlegen müssen,
nach denen wir mit ihm verfahren. Denn wenn er 'normal', sozusagen
'komplett' ist, warum sollen wir dann zögern, ihn alle Ehrenstellen
stufenweise durchlaufen zu lassen, die auch sein Bruder durchlaufen
hat? |
(4,1)
"Collocutus sum cum Tiberio, ut mandasti, mea Livia, quid nepoti
tuo Tiberio faciendum esset ludis Martialibus. consentit autem uterque
nostrum, semel nobis esse statuendum, quod consilium in illo sequamur.
nam si est ἄρτιος, ut ita dicam, ὁλόκληρος, quid est, quod dubitemus,
quin per eosdem articulos et gradus producendus sit, per quos frater eius productus sit? |
Meinen wir aber, dass er zurückgeblieben
und körperlich und geistig anormal und geschädigt ist, so
dürfen wir ihn und uns nicht zum Gespött der Leute machen,
die gewohnt sind, über dergleichen ihren Spott und Hohn auszugießen.
Denn bringen wir die Sache nicht ein für allemal in Ordnung,
so werden wir immer in Angst schwitzen, wenn wir in jedem einzelnen
Fall einer Beförderung überlegen müssen, ob wir ihn
für fähig halten, Ehrenstellen zu bekleiden, oder nicht. |
(4,2)
sin autem ἠλαττῶσθαι sentimus eum et βεβλάφθαι καὶ εἰς τὴν τοῦ σώματος
καὶ εἰς τὴν τῆς ψυχῆς ἀρτιότητα, praebenda materia deridendi et illum
et nos non est hominibus τὰ τοιαῦτα σκώπτειν καὶ μυκτηρίζειν εἰωθόσιν.
nam semper aestuabimus, si de singulis articulis temporum deliberabimus, μὴ προϋποκείμενον ἡμῖν posse arbitremur eum
gerere honores necne. |
Für den gegenwärtigen Fall,
auf den sich deine Anfrage bezieht, haben wir nichts dagegen, dass
er bei den Marsfestspielen die Priestertafel besorgt, vorausgesetzt,
dass er damit einverstanden ist, sich von dem Sohn des Silvanus,
der ohnehin sein Verwandter ist, beraten zu lassen, damit er nichts
tut, was möglicherweise auffallen und lächerlich sein könnte.
Dass er sich die Circusspiele aus der kaiserlichen Loge anschaut,
halten wir nicht für passend, denn da wird er in der ersten Reihe
sitzen und den Zuschauern auffallen. Dass er am Latinerfest mit auf den Albanerberg geht oder in der Stadt bleibt, scheint uns
auch nicht passend. Denn warum wird er nicht Stadtpräfekt, wenn
er seinen Bruder auf den Berg begleiten kann? |
(4,3)
in praesentia tamen quibus de rebus consulis, curare eum ludis Martialibus
triclinium sacerdotum non displicet nobis, si est passurus se ab Silvani
filio, homine sibi affini, admoneri, ne quid faciat, quod conspici
et derideri possit. spectare eum circenses ex pulvinari non placet nobis; expositus enim in fronte prima spectaculorum conspicietur.
in Albanum montem ire eum non placet nobis aut esse Romae Latinarum
diebus. cur enim non praeficitur urbi, si potest sequi fratrem suum
in montem? |
Da hast du, meine Livia,
unsere beiderseitigen Ansichten, denen zufolge es das beste scheint,
ein für allemal einen festen Plan in dieser ganzen Angelegenheit
zu fassen, um nicht immer zwischen Furcht und Hoffnung zu schweben.
Du kannst, wenn du willst, auch unserer Antonia diesen Teil des Briefes zu lesen geben."
In einem anderen Brief heißt es: |
(4,4)
habes nostras, mea Livia, sententias, quibus placet semel de tota
re aliquid constitui, ne semper inter spem et metum fluctuemur. licebit
autem, si voles, Antoniae quoque nostrae des hanc partem epistulae
huius legendam." rursus alteris litteris: |
„Den jungen Tiberius
(Claudius) werde ich, solange du abwesend bist, täglich zu
Tisch einladen, damit er nicht mit seinem Sulpicius und Athenodorus allein speist. Ich wünsche nur, er möchte sich sorgfältiger
und weniger abgehoben jemanden auswählen, dessen Bewegung, Haltung
und Gang er nachahmt, der arme Unglückstropf; denn in allen ernsten
Dingen, wo sein Verstand nicht auf falscher Fährte schweift,
da tritt die angeborene Noblesse seines Naturells sehr deutlich hervor."
Desgleichen heißt es in einem dritten Brief: |
(4,5)
"Tiberium adulescentem ego vero, dum tu aberis, cotidie invitabo
ad cenam, ne solus cenet cum suo Sulpicio et Athenodoro. qui vellem
diligentius et minus μετεώρως deligeret sibi aliquem, cuius motum
et habitum et incessum imitaretur. misellus ἀτυχεῖ: nam ἐν τοῖς σπουδαίοις,
ubi non aberravit eius animus, satis apparet ἡ τῆς ψυχῆς αὐτοῦ εὐγένεια."
item tertiis litteris: |
„Dass mir dein Enkel, meine Livia,
als er seinen Vortrag hielt, hat gefallen können, darüber wundere ich mich, so
wahr ich lebe! Denn ich begreife nicht, wie ein Mensch, der gewöhnlich
so unklar spricht, beim Vortrag alles, was zu sagen ist, so klar herausbringt." |
(4,6)
'Tiberium nepotem tuum placere mihi declamantem potuisse, peream nisi,
mea Livia, admiror. nam qui tam ἀσαφῶς loquatur, qui possit cum declamat
σαφῶς dicere quae dicenda sunt, non video.' |
An den Bestimmungen, die Augustus für ihn getroffen hat, lässt sich nicht zweifeln, und dass
er ihn, solange er lebte, zu keiner höheren Würde als zu
der eines Auguralpriesters beförderte, ja, ihn auch in seinem
Testament nur unter den Erben dritten Grades, fast unter den Fremden,
erwähnte, wie er ihm denn auch nur ein Legat von 800'000 Sesterzen
vermachte. |
(4,7)
Nec dubium est, quid post haec Augustus constituerit et reliquerit
eum nullo praeter auguralis sacerdotii honore impertitum ac ne heredem
quidem nisi inter tertios ac paene extraneos e parte sexta nuncuparet,
legatoque non amplius quam octingentorum sestertiorum prosecutus. |
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5. Tiberius,
sein Onkel väterlicherseits, verlieh ihm auf seine Bitte um Ehrenstellen
bloß die konsularischen
Ehrenzeichen. Auf sein dringenderes Ersuchen um ein wirkliches
Ehrenamt schrieb er nur zurück, er schicke ihm anbei vierzig
Goldstücke für das Saturnalien- und Sigillarienfest.
Erst jetzt ließ er alle Hoffnung auf äußere Ehren
fahren und lebte ganz der Muse, teils in seinen Gärten und auf
seinem vorstädtischen Besitztum, teils zurückgezogen auf
seinem Ruhesitz in Campanien, wobei er sich durch den Verkehr mit
allerlei Menschen niedersten Standes außer dem alten Vorwurf
der Tatenlosigkeit auch noch den Makel der Trunksucht und des Spieles zuzog. Indessen fehlte es ihm trotz dieser seiner Lebensweise niemals
an der schuldige Aufmerksamkeit der Leute noch an öffentlicher
Ehrerbietung. |
(5,1)
Tiberius patruus petenti honores consularia ornamenta detulit; sed
instantius legitimos flagitanti id solum codicillis rescripsit, quadraginta
aureos in Saturnalia et Sigillaria misisse ei. tunc demum abiecta
spe dignitatis ad otium concessit, modo in hortis et suburbana domo,
modo in Campaniae secessu delitescens, atque ex contubernio sordidissimorum
hominum super veterem segnitiae notam ebrietatis quoque et aleae infamiam
subiit, cum interim, quanquam hoc modo agenti, numquam aut officium
hominum aut reverentia publice defuit. |
So erwählte ihn die Ritterschaft zweimal
zum Sachwalter eines in in ihrem Interesse liegenden Gesuches, das
eine Mal, als sie bei den Konsuln beantragten, den Leichnam des Augustus auf ihren Schultern nach Rom tragen zu dürfen, und das andere
Mal, als sie die Konsuln zum Sturz des Seianus beglückwünschten.
Auch erhoben sie sich gewöhnlich ihm zu Ehren, wenn er ins Theater
kam, und legten ihre Regenmäntel ab. |
(6,1)
Equester ordo bis patronum eum perferendae pro se legationis elegit,
semel cum deportandum Romam corpus Augusti humeris suis ab consulibus
exposcerent, iterum cum oppressum Seianum apud eosdem gratularetur;
quin et spectaculis advenienti assurgere et lacernas deponere solebat. |
Auch der Senat beschloss, ihn als außerordentliches
Mitglied unter die Zahl der durchs Los er wählten Priester des vergötterten Augustus aufzunehmen; bald darauf, sein Haus, das er durch eine Feuersbrunst
verloren hatte, auf Staatskosten wieder aufzubauen und dass er das
Recht habe, im Senat unter den Mitgliedern konsularischen Ranges abzustimmen.
Diesen Beschluss jedoch hob Tiberius auf, indem er auf seine Geistesschwäche verwies. Den Brandschaden
versprach er aus eigenen Mitteln zu ersetzen. Bei seinem Tod jedoch
setzte er ihn unter den dritten Erben zu einem Drittel ein, bedachte
ihn mit einem Legat von nahezu zwei Millionen Sesterzen und empfahl
ihn überdies unter seinen übrigen Verwandten ausdrücklich
den verschiedenen Heeren und dem Senat und dem Volk von Rom. |
(6,2)
senatus quoque, ut ad numerum sodalium Augustalium sorte ductorum
extra ordinem adiceretur, censuit et mox, ut domus ei, quam incendio
amiserat, publica impensa restitueretur, dicendaeque inter consulares
sententiae ius esset. quod decretum abolitum est, excusante Tiberio
imbecillitatem eius ac damnum liberalitate sua resarsurum pollicente.
qui tamen moriens et in tertiis heredibus eum ex parte tertia nuncupatum,
legato etiam circa sestertium vicies prosecutus commendavit insuper
exercitibus ac senatui populoque Romano inter ceteras necessitudines
nominatim. |
Endlich gelangte er unter der Regierung seines Bruderssohnes Gaius,
der sich am Anfang seiner Herrschaft bemühte, die günstige
Meinung der Menschen auf alle mögliche Weise zu gewinnen, sogar
zu Staatsämtern und bekleidete mit dem Kaiser zusammen zwei
Monate lang das Konsulat; dabei begegnete ihm, als er zum erstenmal
von Liktoren begleitet das Forum betrat, das glückliche Vorzeichen,
dass ein vorüberfliegender Adler sich ihm auf die rechte Schulter
setzte. Auch traf ihn vier Jahre später das Los, ein zweites
Konsulat zu bekleiden; weiterhin führte er mehrmals an Gaius' Stelle den Vorsitz bei den Schauspielen, wobei das Volk ihm teils:
„Heil dem Onkel des Kaisers!" zurief, teils: „Heil dem Bruder
des Germanicus!". |
(7,1)
Sub Gaio demum fratris filio secundam existimationem circa initia
imperii omnibus lenociniis colligente honores auspicatus consulatum
gessit una per duos menses, evenitque, ut primitus ingredienti cum
fascibus forum praetervolans aquila dexteriore umero consideret. sortitus
est et de altero consulatu in quartum annum; praeseditque nonnumquam
spectaculis in Gai vicem, adclamante populo: 'feliciter' partim 'patruo
imperatoris' partim 'Germanici fratri!' |
Trotz alledem blieben ihm auch jetzt Kränkungen
nicht erspart; denn wenn er einmal etwas spät als vereinbart
zum Essen kam, pflegte man ihm nur widerwillig und erst, nachdem er
um die ganze Tafel herumgegangen war, einen Platz einzuräumen.
Sooft er nach dem Essen einnickte - was ihm regelmäßig
passierte -, warf man mit Oliven- und Dattelkernen nach ihm und
ließ ihn bisweilen auch, wie zum Scherz, von den Spaßmachern
mit ihren Peitschen und Pritschen aufwecken. Auch pflegte man ihm,
wenn er schnarchte, Socken über die Hände zu ziehen, damit
er sich, wenn er plötzlich aufwache, das Gesicht zerkratze. |
(8,1)
nec eo minus contumeliis obnoxius vixit; nam et si paulo serius ad
praedictam cenae horam occurrisset, non nisi aegre et circuito demum
triclinio recipiebatur, et quotiens post cibum addormisceret, quod
ei fere accidebat, olearum aut palmularum ossibus incessebatur, interdum
ferula flagrove velut per ludum excitabatur a copreis. solebant et
manibus stertentis socci induci, ut repente expergefactus faciem sibimet
confricaret. |
Nicht einmal von Gefahren blieb er verschont.
Gleich anfangs, noch während seines Konsulates, war er nahe daran,
abgesetzt zu werden, weil er die Statuen des Nero und Drusus,
der Brüder des Kaisers, zu zögerlich hatte anfertigen und
aufstellen lassen. Dann belästigten ihn fortgesetzt verschiedene
Klagen von Fremden oder auch von Hausgenossen. Und als er nach Entdeckung
der Verschwörung des Lepidus und Gaetulicus mit anderen Abgeordneten nach Germanien gesandt wurde, um dem Kaiser
Glück zu wünschen, hätte er fast sein Leben verloren,
weil Caligula darüber in die höchste Wut geriet, dass man gerade seinen
Onkel zu ihm schicke, als gelte es, einen Knaben zu erziehen. Ja,
es gibt Schriftstellern, die erzählen, er sei bei seiner Ankunft
noch in seiner Reisekleidungin
den Fluss gestürzt worden. |
(9,1)
Sed ne discriminibus quidem caruit. primum in ipso consulatu, quod
Neronis et Drusi fratrum Caesaris statuas segnius locandas ponendasque
curasset, paene honore summotus est; deinde extraneo vel etiam domesticorum
aliquo deferente assidue varieque inquietatus.
cum vero detecta esset Lepidi et Gaetulici coniuratio, missus in Germaniam
inter legatos ad gratulandum etiam vitae periculum adiit, indignante
ac fremente Gaio patruum potissimum ad se missum quasi ad puerum regendum,
adeo ut non defuerint, qui traderent praecipitatum quoque in flumen,
sic ut vestitus advenerat. |
Seitdem gab er im Senat immer als der
letzte unter den Konsularen seine Stimme ab, weil man ihn, um ihn
zu kränken, immer nach allen anderen befragte. Ja, sogar eine
Untersuchung wegen Testamentsfälschung wurde gegen ihn eingeleitet,
obwohl auch er es mit unterschrieben hatte. Schließlich zwang
man ihn auch, acht Millionen Sesterzen für seinen Eintritt in
das neue Priesterkollegium zu zahlen. Dadurch geriet er in solche finanzielle Not, dass er unfähig
war seinen gegen den Staatsschatz eingegangenen Verbindlichkeiten
nachzukommen und seine Güter nach dem Hypothekenschuldgesetz
durch Edikt der Präfekten schimpflicherweise förmlich zum
Verkauf ausgehängt wurden. |
(9,2)
atque ex eo numquam non in senatu novissimus consularium sententiam
dixit, ignominiae causa post omnis interrogatus. etiam cognitio falsi
testamenti recepta est, in quo et ipse signaverat. postremo sestertium
octogies pro introitu novi sacerdotii coactus impendere, ad eas rei familiaris angustias decidit, ut cum obligatam aerario fidem liberare non posset,
in vacuum lege praediatoria venalis pependerit sub edicto praefectorum. |
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valign="top" bgcolor="#CCFFCC">Deutsche Übersetzung
nach: Stahr,
A. bearbeitet von E.Gottwein |
valign="top" bgcolor="#CCFFCC"> |
Sententiae excerptae:w35 |