Die Catilinarische Verschwörung
De Catilinae coniuratione
ΣΑΛΛΟΥΣΤΙΟΥ ΚΑΤΙΛΙΝΑΣ
50-55
Senatssitzung zur Bestrafung, Caesars und Catos
Reden, Synkrisis |
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Der weitere Verlauf der Regierungsmaßnahmen bis zur
Hinrichtung der Verschwörer (50-55):
- Umtriebe in der Stadt veranlassen den Konsul, die Senatssitzung
vom 5. Dez. einzuberufen. Es geht um das Strafmaß
für die Verschwörer.
- Reden Caesars und Catos in großer Form.
- Der historische Vergleich der beiden Charaktere (Synkrisis)
- Das Todesurteil, das im Anschluss an Catos Rede gefällt
und noch vor Einbruch der Nacht vom Konsul vollstreckt
wird, erscheint allgemein als gerecht.
- Sinn des Rededuells
- Wie Catilina am Anfang vor dem Hintergrund der Vergangenheit
gezeichnet wird, so stellt sich jetzt hinter den Figuren
Caesar und Cato die Frage nach der Zukunft des Staates.
Beide sind Träger von virtus, aber nicht
der vollen staatstragenden virtus, sondern
nur jeweils eines Teilbereiches. Rom brauchte eine Persönlichkeit,
die beide Teilbereiche verbunden hätte. So bliebt
die Zukunft Roms im Dunkeln (was Sallust Auffassung
entspricht).
Caesar |
Cato |
Caesar spielt die Staatsraison aus,
verdeckt damit aber nur seine egoistischen Ziele |
Cato verficht die politische Notwendigkeit,
ohne zur staatsmännischen Aktivität
durchzustoßen. |
- Bändigung der Affekte;
- Mahnung zu Unparteilichkeit;
- Hinweis, man müsse auf das Urteil der
Öffentlichkeit Rücksicht nehmen
(Je höher die Stellung, desto stärker
die Bindung);
- Warnung vor einer Maßnahme, die dem
Wesen des Staates nicht entspricht (51,18);
- Drohung mit den Folgen des Präzedenzfalls.
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- Es geht weniger umd Bestrafung als um Vorbeugung
für die Zukunft (52,2-4) [in der Folge
aber nur Gedanken an den Augenblick].
- Die Senatoren werden an ihrem Egoismus gepackt
(52,5)
- Der Kern der Entartung liegt darin, dass
die Dinge nicht mehr beim richtigen Namen
genannt werden (52,11f.).
- Bedeutung des Senatsbeschlusses für
die weitere Niederwerfung der Verschwörung
in Italien.
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Zusammenfassung
zu J.Vogt (39-71) |
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L (1) Während
dies im Senat verhandelt wurde und während den Gesandten der Allobroger und Titus Volturcius in Anerkennung ihrer verdienstvollen Angaben Belohnungen zuerkannt
wurden, durcheilten die Freigelassenen und einzelne Klienten des Lentulus in verschiedenen Richtungen die Stadt und versuchten
teils die Handwerker und Sklaven auf den Straßen zu einem
Aufstand zu bewegen, teils die gewöhnlichen Führer bei
Zusammenrottungen ausfindig zu machen, die schon oft für Geld
die öffentliche Ruhe gefährdet hatten. (2) Cethegus aber forderte durch Boten seine Hausgenossen und Freigelassenen,
ausgesuchte und geübte Leute, dringend auf, sie sollten sich
bewaffnen und in geschlossenen Haufen den Weg in sein Gefängnis
bahnen. (3) Als der Konsul von diesen Vorhaben erfuhr, stellte er Wachposten
auf, wie es die Sachlage und der Ernst des Augenblicks erforderte,
berief dann den Senat und stellte zur Abstimmung, was mit denen
geschehen solle, die in sicheren Gewahrsam gebracht worden waren.
Schon vorher aber hatte sie der Senat mit großer Mehrheit
für Hochverräter erklärt. (4) Nun wurde Decimus
Iunius Silanus, weil er zu dieser Zeit designierter Konsul war,
zuerst nach seiner Meinung befragt. Er hatte sich dahin erklärt,
dass an denen, die sich in Gewahrsam befanden, und an Lucius
Cassius, Publius Furius, Publius Umbrenus und Quintus Annius, wenn sie aufgegriffen würden, die Todesstrafe
zu vollziehen sei. Später sagte er, unter dem Eindruck der
Rede des Gaius Caesar, er werde sich bei der Abstimmung dem Antrag des Tiberius
Nero anschließen. Dieser hatte nämlich beantragt,
erst die Wachen zu verstärken und dann den Sachverhalt neu
zu verhandeln. (5) Als aber die Reihe an Caesar gekommen war und er vom Konsul um seine Stellungnahme
gebeten wurde, sagte er folgendes: |
(50,1)
Dum haec in senatu aguntur et dum legatis Allobrogum et T. Volturcio,
conprobato eorum indicio, praemia decernuntur, liberti et pauci
ex clientibus Lentuli divorsis itineribus opifices atque servitia
in vicis ad eum eripiundum sollicitabant, partim exquirebant duces
multitudinum, qui pretio rem publicam vexare soliti erant. (50,2)
Cethegus autem per nuntios familiam atque libertos suos, lectos
et exercitatos, orabat, ut grege facto cum telis ad sese inrumperent.
(50,3) consul ubi
ea parari cognovit, dispositis praesidiis, ut res atque tempus monebat,
convocato senatu refert, quid de iis fieri placeat, qui in custodiam
traditi erant. sed eos paulo ante frequens senatus iudicaverat contra
rem publicam fecisse. (50,4)
tum D. lunius Silanus primus sententiam rogatus, quod eo tempore
consul designatus erat, de iis, qui in custodiis tenebantur, et
praeterea de L. Cassio, P. Furio, P. Umbreno, Q. Annio, si deprehensi
forent, supplicium sumundum decreverat; isque postea permotus oratione
C. Caesaris pedibus in sententiam Ti. Neronis iturum se dixit, quod
de ea re praesidiis additis referundum censuerat. (50,5)
sed Caesar, ubi ad eum ventum est, rogatus sententiam a consule
huiusce modi verba locutus est: |
LI (1) Senatoren! Es
ist die Pflicht aller Menschen, die über ernsthafte Fragen
einen Beschluss zu fassen haben, sich von Hass wie von Liebe, von
Zorn wie von Mitleid frei zu halten. (2) Nicht leicht trifft man das
Rechte, sobald einen jene Regungen blenden und keiner von allen
hat je den Erfordernissen der Vernunft und der Leidenschaft zugleich Rechnung
getragen. (3) Setze deinen Verstand ein, so wirkt er; zieht die Leidenschaft
ein, spielt sie die Herrin, der Verstand wirkt nichts. (4) Ich könnte,
ihr Senatoren, eine große Menge von üblen Ratschlüssen
vorführen, die Könige und Völker aus Erbitterung
oder Mitleid fassten; aber ich ziehe es vor, rechte und pflichtgemäße
Handlungen zu erwähnen, die unsere Vorfahren gegen den Trieb
ihres leidenschaftlichen Herzens vollzogen. (5) Im Makedonischen
Krieg, den wir gegen den König Perseus führten, zeigte sich der mächtige und glanzvolle Staat
der Rhodier, der durch unsere Förderung emporgekommen war,
uns gegenüber treulos und feindlich. Als man aber nach dem
Ende des Krieges über das Verhalten der Rhodier beriet, ließen
unsere Vorfahren sie ohne Strafe, damit keiner behaupten könne,
sie hätten den Krieg eher angefangen, um sich zu bereichern,
als weil man ihnen Unrecht zugefügt habe. (6) Ebenso vergalten
sie selbst in keinem der Punischen
Kriege trotz mancher Gelegenheit Gleiches mit Gleichem, obgleich
die Karthager sowohl im Frieden als auch in Zeiten des Waffenstillstandes
viele gottlose Taten verübt hatten. Sie fragten danach, was
ihnen Ehre mache, nicht, was man mit Recht gegen jene machen könne.
(7) Dies muss auch eure Sorge sein, Senatoren, dass die Ruchlosigkeit
des Publius Lentulus und der anderen auf euch keinen entscheidenderen
Einfluss ausübe als eure Ehre, dass ihr nicht mehr auf die
Befriedigung eurer Entrüstung als die Erhaltung eures Leumunds
seht. (8) Wenn sich nämlich eine ihren Taten entsprechende Strafe
finden lässt, so heiße ich eine außerordentliche
Maßregel gut; wenn aber die Größe ihres Verbrechens
alles Denken übersteigt, so stimme ich dafür die Strafe
zu verhängen, die durch die Gesetze geboten ist. |
(51,1)
'Omnis homines, patres conscripti, qui de rebus dubiis consultant,
ab odio, amicitia, ira atque misericordia vacuos esse decet. (51,2)
haud facile animus verum providet, ubi illa officiunt, neque quisquam
omnium lubidini simul et usui paruit. (51,3)
ubi intenderis ingenium, valet; si lubido possidet, ea dominatur,
animus nihil valet. (51,4)
magna mihi copia est memorandi, patres conscripti, quae reges atque
populi ira aut misericordia inpulsi male consuluerint. sed ea malo
dicere, quae maiores nostri contra lubidinem animi sui recte atque
ordine fecere. (51,5)
bello Macedonico, quod cum rege Perse gessimus, Rhodiorum civitas
magna atque magnifica, quae populi Romani opibus creverat, infida
et advorsa nobis fuit. sed postquam bello confecto de Rhodiis consultum
est, maiores nostri, ne quis divitiarum magis quam iniuriae causa
bellum inceptum diceret, inpunitos eos dimisere. (51,6)
item bellis Punicis omnibus, quom saepe Carthaginienses et in pace
et per indutias multa nefaria facinora fecissent, numquam ipsi per
occasionem talia fecere: magis quid se dignum foret, quam quid in
illos iure fieri posset, quaerebant. (51,7)
hoc item vobis providendum est, patres conscripti, ne plus apud
vos valeat P. Lentuli et ceterorum scelus quam vostra dignitas,
neu magis irae vostrae quam famae consulatis. (51,8)
nam si digna poena pro factis eorum reperitur, novom consilium adprobo;
sin magnitudo sceleris omnium ingenia exuperat, his utendum censeo,
quae legibus conparata sunt. |
(9) Die meisten
von denen, die vor mir Anträge gestellt haben, haben in wohlgesetzter
und schmuckreicher Rede das Unglück des Staates bejammert;
haben aufgezählt, welche Abscheulichkeiten der Krieg mit sich
führe, welche Schicksale die Besiegten treffen; dass Mädchen
und Jungen geraubt, Kinder aus den Armen ihrer Eltern gerissen,
an Hausfrauen jedes Gelüst der Sieger verübt, Tempel und
Häuser geplündert, gemordet und gesengt, kurz alles mit
Waffen und Leichen, Blut und Wehklagen erfüllt werde. (10) Doch,
bei den unsterblichen Göttern, worauf zielten denn solche Reden?
Etwa darauf, euch gegen die Verschwörer ergrimmt zu machen?
Natürlich, denjenigen, auf den so ernste und so schreckliche
Tatsachen keinen Eindruck gemacht haben, den werden Worte in Glut
setzen! (11) Nein, nein. Kein Sterblicher sieht Vergehen, die ihn betreffen,
als gleichgültig an, viele haben sie ernster als billig
geachtet. (12) Aber nicht allen wird gleiche Freiheit des Handelns zugestanden,
Senatoren. Wenn Leuten, die niedrig im Dunkel leben, aus Jähzorn
ein Versehen unterlauft, so wissen wenige darum; ihr Ruf und ihre
gesellschaftliche Stellung sind einander gleich. Dagegen kennt die
gesamte Menschheit die Handlungen derer, die mit großer Macht
bekleidet auf der Höhe des Lebens stehen. (13) Deshalb ist die Freiheit
in der höchsten Stellung am geringsten; weder Lieben noch Hassen,
am wenigstens Zürnen macht Ehre. (14) Was man bei anderen Jähzorn
nennt, das heißt beim Machthaber Frevel und Grausamkeit. (15) Ich
bin, Senatoren, zu tiefst überzeugt, dass alle Martern für
deren Verbrechen zu gering sind; aber die meisten Sterblichen behalten
nur das Ende in Erinnerung, vergessen bei gottlosen Menschen ihr
Verbrechen und bekritteln nur die Strafe, wenn sie etwas zu streng
ausgefallen ist. |
(51,9)
Plerique eorum, qui ante me sententias dixerunt, conposite atque
magnifice casum rei publicae miserati sunt. quae belli saevitia
esset, quae victis adciderent, enumeravere: rapi virgines, pueros;
divelli liberos a parentum conplexu; matres familiarum pati, quae
victoribus conlubuissent; fana atque domos spoliari; caedem, incendia
fieri; postremo armis, cadaveribus, cruore atque luctu omnia conpleri.
(51,10) sed, per
deos inmortalis, quo illa oratio pertinuit? an uti vos infestos
coniurationi faceret? scilicet, quem res tanta et tam atrox non
permovit, eum oratio adcendet. (51,11)
non ita est, neque quoiquam mortalium iniuriae suae parvae videntur,
multi eas gravius aequo habuere. (51,12)
sed alia aliis licentia est, patres conscripti. qui demissi in obscuro
vitam habent, si quid iracundia deliquere, pauci sciunt, fama atque
fortuna eorum pares sunt; qui magno imperio praediti in excelso
aetatem agunt, eorum facta cuncti mortales novere. (51,13)
ita in maxuma fortuna minuma licentia est; neque studere neque odisse,
sed minume irasci decet; (51,14)
quae apud alios iracundia dicitur, ea in imperio superbia atque
crudelitas appellatur. (51,15)
equidem ego sic existumo, patres conscripti, omnis cruciatus minores
quam facinora illorum esse. sed plerique mortales postrema meminere
et in hominibus inpiis sceleris eorum obliti de poena disserunt,
si ea paulo severior fuit. |
(16) Von Decimus
Silanus, diesem tapferen und tüchtigen Mann, weiß
ich zwar gewiss, dass alles, was er gesagt hat, nur dem Eifer für
das Gemeinwohl entstammt, dass er bei einer so wichtigen Angelegenheit
sich weder von Sympathien noch von Antipathien leiten lässt
- ich kenne ja seinen Charakter, seine Selbstlosigkeit -;
(17) aber sein Antrag erscheint mir nicht etwa als grausam - denn
gibt es Grausamkeit gegen solche Menschen? - sondern als dem
Charakter unseres Staates nicht entsprechend. (18) Denn gewiss können
dich, Silanus, den Konsul des künftigen Jahres, entweder nur
Besorgnis um die Ruhe oder Entrüstung über das Verbrechen
veranlasst haben, eine außerordentliche Strafe zu beantragen.
(19) Von Ängstlichkeit bei dir ein Wort zu verlieren, wäre
ganz überflüssig, zumal durch die Sorgsamkeit des höchstgeachteten
Konsuls eine so große Schutztruppe in Waffen steht. (20) Von der
Strafe aber darf ich sagen, was in der Natur der Sache begründet
ist, dass in Kummer und Leiden der Tod ein Ausruhen von Mühsal,
keine Qual ist, dass er alles Elend der Sterblichen in nichts auflöst,
dass im Jenseits weder Sorge noch Freude Raum hat. (21) Nun, bei den
unsterblichen Göttern, warum hast du in deinen Antrag nicht
aufgenommen, sie sollten vorher die Geißelung erleiden? (22) Vielleicht
weil das Porcische
Gesetz es verbietet? Aber andere Gesetze gebieten ja ebenso,
verurteilten Bürgern nicht das Leben zu nehmen, sondern Verbannung
zu gestatten. (23) Vielleicht weil Geißelung schmerzlicher ist
als Tötung? Kann denn gegen Leute, die eines so schweren Verbrechens
überführt sind, von Schmerzhaftem oder gar zu Hartem die
Rede sein? (24) Sagst du, weil es erträglicher ist, nun wie reimt
sich das, beim kleineren Ding vor dem Gesetz Scheu zu hegen, nachdem
man es bei dem größeren ganz unbeachtet gelassen hat? |
(51,16)
D. Silanum, virum fortem atque strenuom, certo scio, quae dixerit,
studio rei publicae dixisse, neque illum in tanta re gratiam aut
inimicitias exercere: eos mores eamque modestiam viri cognovi. (51,17)
verum sententia eius mihi non crudelis - quid enim in talis
homines crudele fieri potest? - sed aliena a re publica nostra
videtur. (51,18)
nam profecto aut metus aut iniuria te subegit, Silane, consulem
designatum genus poenae novom decernere. (51,19)
de timore supervacuaneum est disserere, quom praesertim diligentia
clarissumi viri consulis tanta praesidia sint in armis. (51,20)
de poena possum equidem dicere, id quod res habet, in luctu atque
miseriis mortem aerumnarum requiem, non cruciatum esse; eam cuncta
mortalium mala dissolvere; ultra neque curae neque gaudio locum
esse. (51,21) sed,
per deos inmortalis, quam ob rem in sententiam non addidisti, uti
prius verberibus in eos animadvorteretur? (51,22)
an quia lex Porcia vetat? at aliae leges item condemnatis civibus
non animam eripi, sed exilium permitti iubent. (51,23)
an quia gravius est verberari quam necari? quid autem acerbum aut
nimis grave est in homines tanti facinoris convictos? (51,24)
sin quia levius est, qui convenit in minore negotio legem timere,
quom eam in maiore neglexeris? |
(25) Aber, höre
ich, wer wird denn tadeln, was über Vaterlandsverräter
verhängt wird? Die Zukunft, die Zeit, das Schicksal, dessen
Willkür über die Völker gebietet. (26) Jene wird mit Recht
treffen, was immer beschlossen wird, aber ihr, Senatoren, bedenkt,
was ihr gegen andere zur Regel macht. |
(51,25)
At enim quis reprehendet, quod in parricidas rei publicae decretum
erit? tempus, dies, fortuna, quoius lubido gentibus moderatur. (51,26)
illis merito adcidet, quicquid evenerit; ceterum vos, patres conscripti,
quid in alios statuatis, considerate. |
(27) Alle schlechten
Regeln sind aus guten Beispielen hervorgegangen. Natürlich,
wenn die Macht an unkundige oder wenig rechtschaffene Leute gelangt,
wird das früher außerordentliche Verfahren von solchen,
die es verdient hatten und auf die es anwendbar war, auf Leute übertragen,
die es nicht verdienen und auf die es nicht anwendbar ist. (28) Die
Lakedaimonier setzten nach der endgültigen
Niederlage der Athener zur Regierung ihres Staates dreißig
Männer ein. (29) Diese töteten zuerst gerade die Schlechtesten und allen Verhassten ohne gerichtliches
Urteil. Darüber freute sich das Volk und erklärte, es
sei mit Recht geschehen. (30) Als dann aber allmählich die Willkür
gewachsen war, töteten sie nach Laune in gleicher Weise Gute
und Böse und hielten alle übrigen durch ein Schreckensregiment
nieder. (31) So büßte das Volk unter der schweren Last des
Sklavenjochs die törichte Freude. (32) Als in den von uns erlebten
Zeiten Sulla nach seinem Sieg Damasippus und andere seines Schlages, die aus dem Unglück des Staates
den größten Vorteil gezogen hatten, hinrichten ließ,
lobte da nicht jeder sein Handeln? Als ruchlose und streitsüchtige
Menschen, die den Staat durch Aufstände geängstigt hätten,
seien sie verdientermaßen getötet worden, behauptete
man. Aber dieser Vorfall war der Anfang zu schweren Schlägen.
(33) Denn wenn einer jemandes Haus oder Landgut, ja Gefäß
oder Kleid begehrte, so bemühte er sich, jenen auf die Liste
der Geächteten setzen zu lassen. (34) So wurden jene, denen Damasippus' Tod eine Freude gewesen war, bald selbst beim Schopfe genommen;
und nicht eher hörte das Schlachten auf, bis Sulla alle seine Anhänger in Reichtum gesättigt hatte. (35) Freilich
fürchte ich solches nicht von Marcus
Tullius noch unter den gegenwärtigen Verhältnissen.
Aber in einem großen Volk gibt es viele verschiedenartige
Geister. (36) Möglich, dass zu anderer Zeit, unter einem anderen
Konsul, dem ebenfalls ein Heer zu Gebote steht, eine Lüge Glauben
findet. Sobald nach dem Muster des gegenwärtigen Verfahrens
der Konsul auf einen Senatsbeschluss gestützt dann das Schwert
zieht, wer will ihm ein Ziel setzen oder wer ihn mäßigen? |
(51,27)
omnia mala exempla ex rebus bonis orta sunt. sed ubi imperium ad
ignaros eius aut minus bonos pervenit, novom illud exemplum ab dignis
et idoneis ad indignos et non idoneos transfertur. (51,28)
Lacedaemonii devictis Atheniensibus triginta viros inposuere, qui
rem publicam eorum tractarent. (51,29)
ii primo coepere pessumum quemque et omnibus invisum indemnatum
necare: ea populus laetari et merito dicere fieri. (51,30)
post ubi paulatim licentia crevit, iuxta bonos et malos lubidinose
interficere, ceteros metu terrere: (51,31)
ita civitas servitute oppressa stultae laetitiae gravis poenas dedit.
(51,32) nostra
memoria victor Sulla quom Damasippum et alios eius modi, qui malo
rei publicae creverant, iugulari iussit, quis non factum eius laudabat?
homines scelestos et factiosos, qui seditionibus rem publicam exagitaverant,
merito necatos aiebant. sed ea res magnae initium cladis fuit. (51,33)
nam uti quisque domum aut villam, postremo vas aut vestimentum aliquoius
concupiverat, dabat operam, uti is in proscriptorum numero esset.
(51,34) ita illi,
quibus Damasippi mors laetitiae fuerat, paulo post ipsi trahebantur,
neque prius finis iugulandi fuit, quam Sulla omnis suos divitiis
explevit. (51,35)
atque haec ego non in M. Tullio neque his temporibus vereor, sed
in magna civitate multa et varia ingenia sunt. (51,36)
potest alio tempore, alio consule, quoi item exercitus in manu sit,
falsum aliquid pro vero credi. ubi hoc exemplo per senatus decretum
consul gladium eduxerit, quis illi finem statuet aut quis moderabitur? |
(37) Unsere Vorfahren,
Senatoren, waren nie um Rat und Wagemut verlegen, aber Stolz hinderte
sie nicht, fremde Einrichtungen, wenn sie nur zweckmäßig
waren, sich anzueignen: (38) Angriffs- und Verteidigungswaffen entlehnten
sie von den Samniten,
die meisten Insignien der Beamten von den Etruskern; kurz, was ihnen irgendwo
bei Bundesgenossen oder Feinden tauglich schien, das verwendeten
sie mit größtem Eifer auch zu Hause. Sie wollten das
Gute lieber nachahmen als missgönnen. (39) Aber zu eben jener
Zeit übten sie nach griechischer Sitte an Mitbürgern Prügelstrafe,
verhängten über Verurteilte die Todesstrafe. (40) Nachdem aber
ihr Gemeinwesen erstarkt war und durch die große Zahl der
Bürger die Parteien Kraft gewonnen hatten, wurden, als
man Unschuldige zu verurteilen und anderes dergleichen zu verüben
begann, das Porcische
Gesetz und andere Gesetze gegeben, durch die den Verurteilten
die Verbannung ermöglicht wurde. (41) Dies halte ich, ihr Senatoren,
für den stärksten Grund, keine außerordentliche
Maßregel zu ergreifen. (42) In der Tat verfügten die Alten,
die mit geringen Mittel ein so großes Reich gewonnen haben,
über größere Tüchtigkeit und Weisheit als wir,
die wir das rühmlich Erworbene kaum behaupten. |
(51,37)
Maiores nostri, patres conscripti, neque consili neque audaciae
umquam eguere; neque illis superbia obstabat. quo minus aliena instituta,
si modo proba erant, imitarentur. (51,38)
arma atque tela militaria ab Samnitibus, insignia magistratuum ab
Tuscis pleraque sumpserunt. postremo, quod ubique apud socios aut
hostis idoneum videbatur, cum summo studio domi exequebantur: imitari
quam invidere bonis malebant. (51,39)
sed eodem illo tempore Graeciae morem imitati verberibus animadvortebant
in civis, de condemnatis summum supplicium sumebant. (51,40)
postquam res publica adolevit et multitudine civium factiones valuere,
circumveniri innocentes, alia huiusce modi fieri coepere, tum lex
Porcia aliaeque leges paratae sunt, quibus legibus exilium damnatis
permissum est. (51,41)
hanc ego causam, patres conscripti, quo minus novom consilium capiamus,
in primis magnam puto. (51,42)
profecto virtus atque sapientia maior illis fuit, qui ex parvis
opibus tantum imperium fecere, quam in nobis, qui ea bene parta
vix retinemus. |
(43) Stimme ich also
dafür, sie zu entlassen und dadurch Catilinas Heer zu verstärken? Durchaus nicht, sondern ich stelle folgenden
Antrag: Ihr Vermögen ist zu konfiszieren, sie selbst aber sind
in den Municipien, die über die meisten Mittel verfügen,
gefangen zu halten. Niemand soll in Zukunft einen auf sie bezogenen
Antrag im Senat stellen noch vor dem Volk verhandeln. Wer zuwider
handelt, gilt dem Senat als Hochverräter am Staat und am Gemeinwohl." |
(51,43)
Placet igitur eos dimitti et augeri exercitum Catilinae? minume.
sed ita censeo: publicandas eorum pecunias, ipsos in vinculis habendos
per municipia, quae maxume opibus valent; neu quis de iis postea
ad senatum referat neve cum populo agat; qui aliter fecerit, senatum
existumare eum contra rem publicam et salutem omnium facturum.' |
LII (1) Nachdem Caesar seine Rede beendet hatte, stimmten die übrigen in
kurzen Äußerungen unterschiedlich teils dem, teils jenem
zu. Aber Marcus Porcius Cato hielt, als er um seine Stellungnahme gebeten
wurde, eine Rede folgenden Inhalts: |
(52,1)
Postquam Caesar dicundi finem fecit, ceteri verbo alius alii varie
adsentiebantur. at M. Porcius Cato rogatus sententiam huiusce modi
orationem habuit: |
(2) Da denke ich
ganz anders, ihr Senatoren, wenn ich unsere gefahrvolle Lage ins
Auge fasse und mir die Stellungnahmen einiger Vorredner durch den
Kopf gehen lasse. (3) Diese haben sich, wie mir scheint, nur mit deren
Bestrafung auseinandergesetzt, die gegen ihr eigenes Vaterland,
ihre Eltern, Altar und Herd Krieg führen wollten. Die Sachlage
aber gebietet, uns vor jenen zu sichern, nicht zu beraten, was wir
gegen sie verhängen wollen. (4) Alle anderen Verbrechen mag man
nämlich bestrafen, wenn sie verübt sind, verhütet
man aber in diesem Fall nicht, dass es eintritt, dürfte man,
wenn es passiert ist, umsonst die Gerichte anrufen. Ist die Stadt
erobert, bleibt den Besiegten nichts. (5) So rufe ich denn, bei den
unsterblichen Göttern, euch auf, denen Häuser und Landgüter,
Bildsäulen und Gemälde stets mehr wert waren als das Gemeinwesen:
wollt ihr dies, mag sein, wie es will, was ihr ans Herz drückt,
retten, wollt ihr euch Ungestörtheit zu euren Vergnügungen
schaffen, so wacht endlich aus dem Schlaf auf und greift beim Staat
mit an! (6) Es geht nicht um Steuereinnahmen, um Unrecht an den Bundesgenossen:
unsere Freiheit und unser Leben stehen auf dem Spiel! |
(52,2)
'Longe alia mihi mens est, patres conscripti, quom res atque pericula
nostra considero, et quom sententias nonnullorum ipse mecum reputo.
(52,3) illi mihi
disseruisse videntur de poena eorum, qui patriae, parentibus, aris
atque focis suis bellum paravere; res autem monet cavere ab illis
magis quam, quid in illos statuamus, consultare. (52,4)
nam cetera maleficia tum persequare, ubi facta sunt; hoc nisi provideris,
ne adcidat, ubi evenit, frustra iudicia inplores: capta urbe nihil
fit reliqui victis. (52,5)
sed, per deos inmortalis, vos ego appello, qui semper domos, villas,
signa, tabulas vostras pluris quam rem publicam fecistis: si ista,
quoiuscumque modi sunt, quae amplexamini, retinere, si voluptatibus
vostris otium praebere voltis, expergiscimini aliquando et capessite
rem publicam. (52,6)
non agitur de vectigalibus neque de sociorum iniuriis: libertas
et anima nostra in dubio est. |
(7) Oft, ihr Senatoren,
habe ich in dieser Versammlung gesprochen, oft über die Verschwendung
und die Habsucht unserer Mitbürger Klage geführt und mir
dadurch viele Menschen zu Feinden gemacht. (8) Ich, der ich mir, meinem
Herzen, nie einen Fehltritt nachgesehen, habe deswegen auch der
Lüsternheit eines anderen nicht gern ein Verbrechen nachgesehen.
(9) Doch obwohl ihr darauf keinen Wer legtet, war der Staat sicher;
seine Macht konnte eure Gleichgültigkeit wettmachen. (10) Jetzt
aber handelt es sich nicht darum, ob wir gute oder schlechte Lebensgewohnheiten
haben, auch nicht um die Größe und den Glanz des römischen
Reiches, sondern ob dies alles hier, mag man darüber denken,
wie man will, uns oder mit uns fortan den Feinden gehören soll.
(11) Da spricht mir nun einer von Menschlichkeit und Barmherzigkeit.
Ja, längst sind uns die rechten Namen für die Dinge abhanden
gekommen. Weil fremdes Gut verschenken edle Freigebigkeit, Verwegenheit
im Bösen Tapferkeit heißt, eben deshalb schwebt der Staat
am Rande des Abgrunds. (12) Mögen sie, weil es nun einmal so mit
den Sitten steht, freigebig mit dem Raub an den Bundesgenossen sein,
mögen sie mitleidig sein gegen Diebe am Staatsschatz, aber
mögen sie nicht unser Blut verschenken, mögen sie nicht,
indem sie einige Ruchlose schonen, uns alle ins Verderben stürzen! |
(52,7)
Saepenumero, patres conscripti, multa verba in hoc ordine feci,
saepe de luxuria atque avaritia nostrorum civium questus sum, multosque
mortalis ea causa advorsos habeo. (52,8)
qui mihi atque animo meo nullius umquam delicti gratiam fecissem,
haut facile alterius lubidini male facta condonabam. (52,9)
sed ea tametsi vos parvi pendebatis, tamen res publica firma erat,
opulentia neglegentiam tolerabat. (52,10)
nunc vero non id agitur, bonisne an malis moribus vivamus, neque
quantum aut quam magnificum imperium populi Romani sit, sed haec,
quoiuscumque modi videntur, nostra an nobiscum una hostium futura
sint. (52,11) hic
mihi quisquam mansuetudinem et misericordiam nominat. iam pridem
equidem nos vera vocabula rerum amisimus: quia bona aliena largiri
liberalitas, malarum rerum audacia fortitudo vocatur, eo res publica
in extremo sita est. (52,12)
sint sane, quoniam ita se mores habent, liberales ex sociorum fortunis,
sint misericordes in furibus aerari: ne illi sanguinem nostrum largiantur
et, dum paucis sceleratis parcunt, bonos omnis perditum eant. |
(13) In schönen
und wohlgesetzten Worten hat Gaius
Caesar vorhin in dieser Versammlung über das Verhältnis
von Leben und Tod gepredigt, natürlich weil er die Lehren von
der Unterwelt für Lügen hält, dass nämlich die
Bösen abgesondert von den Guten Räume voll Schmutz und
Unrat voll Ekel und Schrecken bewohnen. (14) Und so hat er beantragt,
ihr Vermögen zu konfiszieren und sie in Municipien verteilt
gefangen zu halten; natürlich aus Furcht, sie könnten,
wenn sie in Rom blieben, von ihren Mitverschwörern oder von
einer gemieteten Rotte gewaltsam befreit werden. (15) Gerade so, als
gäbe es Schurken und Verbrecher nur in der Hauptstadt, nicht
überall in ganz Italien, oder als vermöchte Verwegenheit
nicht da mehr, wo die Mittel zur Abwehr geringer sind! (16) Also ist
der Rat gewiss töricht, wenn er von jenen Gefahren fürchtet;
ist ihm bei so großer allgemeiner Besorgnis allein nicht bange,
muss mir um so mehr um mich und um euch bange zu sein. |
(52,13)
Bene et conposite C. Caesar paulo ante in hoc ordine de vita et
morte disseruit, credo falsa existumans ea, quae de inferis memorantur:
divorso itinere malos a bonis loca taetra, inculta, foeda atque
formidulosa habere. (52,14)
itaque censuit pecunias eorum publicandas, ipsos per municipia in
custodiis habendos, videlicet timens, ne, si Romae sint, aut a popularibus
coniurationis aut a multitudine conducta per vim eripiantur; (52,15)
quasi vero mali atque scelesti tantummodo in urbe et non per totam
Italiam sint, aut non ibi plus possit audacia, ubi ad defendundum
opes minores sunt. (52,16)
quare vanum equidem hoc consilium est, si periculum ex illis metuit;
si in tanto omnium metu solus non timet, eo magis refert me mihi
atque vobis timere. |
(17) Seid deshalb
versichert, dass ihr, wenn ihr über Publius Lentulus und die übrigen abstimmt, zugleich über Catilinas Heer und
über alle Verschwörer beschließt. (18) Je ernster ihr
das tut, um so schwächer wird ihr Mut werden; sehen sie euch
nur ein wenig lasch, werden alle sofort unerschrocken dastehen.
(19) Glaubt ja nicht, dass unsere Vorfahren durch Waffen den Staat aus
einem kleinen groß gemacht haben. (20) Wäre es so, müssten
wir ihn jetzt in schönster Vollendung vorfinden: An Bundesgenossen
und Bürgern, sodann an Waffen und Pferden haben wir ja größeren
Reichtum als jene. (21) Nein, was sie groß gemacht hat, war etwas
ganz anderes und ist bei uns gar nicht mehr vorhanden: zu Hause
Fleiß, draußen gerechte Regierung, in der Beratung ein
freier, weder durch Schuld noch durch Lust gebundener Sinn. (22) Statt
dessen haben wir Verschwendung und Habsucht, leere Staatskassen,
gefüllte Privatsäckel; wir lieben den Mammon und ergehen
uns in Faulheit. Gute und Schlechte gelten uns gleich, allen Lohn
der Tüchtigkeit nimmt das Buhlen um Ämter in Beschlag.
(23) Kein Wunder! Wenn ihr jeder nach seinem Sonderinteresse eure Entschließungen
trefft, wenn ihr zu Hause dem Vergnügen, hier dem Gold oder
der Liebdienerei frönt, - nun daher kommt es, dass der Staat
das wehlose Ziel frecher Angriffe wird. |
(52,17)
qua re, quom de P. Lentulo ceterisque statuetis, pro certo habetote
vos simul de exercitu Catilinae et de omnibus coniuratis decernere.
(52,18) quanto
vos adtentius ea agetis, tanto illis animus infirmior erit; si paulum
modo vos languere viderint, iam omnes feroces aderunt. (52,19)
Nolite existumare maiores nostros armis rem publicam ex parva magnam
fecisse. (52,20)
si ita esset, multo pulcherrumam eam nos haberemus: quippe sociorum
atque civium, praeterea armorum atque equorum maior copia nobis
quam illis est. (52,21)
sed alia fuere, quae illos magnos fecere, quae nobis nulla sunt:
domi industria, foris iustum imperium, animus in consulendo liber,
neque delicto neque lubidini obnoxius. (52,22)
pro his nos habemus luxuriam atque avaritiam, publice egestatem,
privatim opulentiam. laudamus divitias, sequimur inertiam. inter
bonos et malos discrimen nullum, omnia virtutis praemia ambitio
possidet. (52,23)
neque mirum: ubi vos separatim sibi quisque consilium capitis, ubi
domi voluptatibus, hic pecuniae aut gratiae servitis, eo fit, ut
impetus fiat in vacuam rem publicam. |
(24) Doch Schluss
damit! Bürger des höchsten Adels haben sich verschworen,
die Vaterstadt in Brand zu stecken, sie rufen das Volk der Gallier,
das alles hasst, was römisch heißt, zum Krieg herbei;
der Führer der Feinde sitzt uns mit seinem Heer im Nacken;
(25) und ihr zaudert noch immer und seid unsicher, was ihr mit den innerhalb
der Mauern ergriffenen Feinden machen sollt? (26) Seid mitleidig, rate
ich - junge Leutchen haben aus Ehrgeiz einen Fehltritt getan - ja,
lasst sie mit ihren Waffen laufen! (27) Wahrlich, eure Menschenfreundlichkeit
und euer Mitleiden dürfte sich, wenn jene die Waffen zur Hand
nehmen, in Notleiden verkehren. (28) Ach so: die Sachlage ist schlimm,
aber ihr habt davor keine Angst. Ganz im Gegenteil, die größte;
aber aus Faulheit und Schlaffheit zaudert ihr, indem einer auf den
anderen wartet, natürlich im festen Vertrauen auf die unsterblichen
Götter, die diesen unseren Staat oft in den größten
Gefahren gerettet haben. (29) Nicht durch Gelübde und Weibertränen
wird Hilfe von den Göttern erlangt: durch Wachen, Handeln,
gutes Planen wird alles gut. Hat man sich der kopflosen Saft- und
Kraftlosigkeit hingegeben, wird man vergebens die Götter anrufen:
sie sind aufgebracht und abweisend. |
(52,24)
Sed ego haec omitto. coniuravere nobilissumi cives patriam incendere,
Gallorum gentem infestissumam nomini Romano ad bellum arcessunt,
dux hostium cum exercitu supra caput est; (52,25)
vos cunctamini etiam nunc et dubitatis, quid intra moenia deprensis
hostibus faciatis? (52,26)
misereamini censeo ‑ deliquere homines adulescentuli per ambitionem
‑ atque etiam armatos dimittatis: (52,27)
ne ista vobis mansuetudo et misericordia, si illi arma ceperint,
in miseriam convortat. (52,28)
scilicet res ipsa aspera est, sed vos non timetis eam. immo vero
maxume. sed inertia et mollitia animi alius alium expectantes cunctamini,
videlicet dis inmortalibus confisi, qui hanc rem publicam saepe
in maxumis periculis servavere. (52,29)
non votis neque suppliciis muliebribus auxilia deorum parantur;
vigilando, agundo, bene consulendo prospere omnia cedunt. ubi socordiae
te atque ignaviae tradideris, nequiquam deos inplores: irati infestique
sunt. |
(30) Zur Zeit unserer
Vorfahren ließ Titus
Manlius Torquatus im Krieg gegen die Gallier seinen Sohn, weil er entgegen dem Befehl mit einem Feind gekämpft
hatte, hinrichten. (31) Der herausragende Jüngling büßte
seine übermäßige Tapferkeit mit dem Tod; und ihr
fragt euch zögerlich, was über unmenschliche Mörder
verhängen sollt? Freilich steht ihr sonstiges Leben zu ihrem
jetzigen Verbrechen im Widerspruch! (32) Ja, nehmt Rücksicht auf
den hohen Rang des Lentulus, wenn er selbst auf seine Achtbarkeit, seinen Ruf,
auf Götter und Menschen je Rücksicht genommen hat! (33) Verzeiht
der Jugend des Cethegus, wenn er nicht schon zum zweiten Mal gegen das Vaterland
Krieg angefangen hat. (34) Und Gabinius, Statilius, Caeparius,
was soll ich über sie sagen? Hätten sie je ein Gewissen
gehabt, sie hätten nicht solche Pläne gegen den Staat
gehegt. |
(52,30)
apud maiores nostros A. Manlius Torquatus bello Gallico filium suom,
quod is contra imperium in hostem pugnaverat, necari iussit, (52,31)
atque ille egregius adulescens inmoderatae fortitudinis morte poenas
dedit; vos de crudelissumis parricidis quid statuatis, cunctamini?
videlicet cetera vita eorum huic sceleri obstat. (52,32)
verum parcite dignitati Lentuli, si ipse pudicitiae, si famae suae,
si dis aut hominibus umquam ullis pepercit. (52,33)
ignoscite Cethegi adulescentiae, nisi iterum patriae bellum fecit.
(52,34) nam quid
ego de Gabinio, Statilio, Caepario loquar? quibus si quicquam umquam
pensi fuisset, non ea consilia de re publica habuissent. |
(35) Schließlich
würde ich, ihr Senatoren, wenn es, bei Gott, hinnehmbar wäre,
Fehler zu machen, euch durch Schaden klug werden lassen, da ihr
ja Worte missachtet. Aber wird sind auf allen Seiten umzingelt. Catilina geht uns
mit seinem Heer an die Gurgel, andere Feinde sind innerhalb der
Mauern, ja im Herzen der Stadt; keine Maßnahme kann von ihnen
unbemerkt getroffen, kein Entschluss gefasst werden: um so größere
Eile tut Not. (36) Daher lautet mein Antrag: Da durch den gottlosen Plan
ruchloser Bürger der Staat in die höchste Gefahr gestürzt
ist und diese durch das Geständnis des Titus
Volturcius und der allobrogischen Gesandten überführt und selbst geständig sind, dass
sie zu Mord, Brand und anderen unmenschlichen Gräueltaten an
ihren Mitbürgern und am Vaterland entschlossen waren, so ist
an denen, die gestanden haben und wie an denen, die todeswürdiger
Verbrechen überführt wurden, nach dem Beispiel unserer
Vorfahren die Todesstrafe zu vollziehen. |
(52,35)
postremo, patres conscripti, si mehercule peccato locus esset, facile
paterer vos ipsa re conrigi, quoniam verba contemnitis. sed undique
circumventi sumus. Catilina cum exercitu faucibus urget; alii intra
moenia atque in sinu urbis sunt hostes; neque parari neque consuli
quicquam potest occulte: quo magis properandum est. (52,36)
Quare ego ita censeo, quom nefario consilio sceleratorum civium
res publica in summa pericula venerit, iique indicio T. Volturci
et legatorum Allobrogum convicti confessique sint caedem, incendia
aliaque se foeda atque crudelia facinora in civis patriamque paravisse,
de confessis, sicuti de manufestis rerum capitalium, more maiorum
supplicium sumundum.' |
LIII (1) Nachdem Cato sich niedergesetzt hat, spenden alle Consulare und die
Mehrheit des Senats seinem Antrag Beifall, loben seine mutige Einstellung
bis zum Himmel und schelten sich gegenseitig Feiglinge. Cato allein gilt als großes und leuchtendes Vorbild; der
Senatsbeschluss entspricht unverändert seinem Antrag.
|
(53,1)
Postquam Cato adsedit, consulares omnes itemque senatus magna pars
sententiam eius laudant, virtutem animi ad caelum ferunt, alii alios
increpantes timidos vocant. Cato clarus atque magnus habetur; senati
decretum fit, sicuti ille censuerat. |
(2) Vielfach habe
ich gelesen und vielfach gehört, welche ruhmreiche Taten das
römische Volk im Krieg und im Frieden zu Wasser und zu Land
vollbracht hat. So kam mir der Gedanke, darauf zu achten, was am
meisten zur Überwindung so großer Gefahren beigetragen
hat. (3) Ich wusste, dass es oft mit geringer Mannschaft gegen starke
Feindesscharen gestritten hatte; es war mir bekannt, dass es mit
kleinen Mitteln gegen mächtige Könige Kriege geführt
hatte; dass es zusätzlich oft Schicksalsschläge ausgehalten
hatte, dass die Griechen den Römern in der Beredsamkeit, die
Gallier im Kriegsruhm voraus waren. (4) Doch bei vielfachen Überlegungen
wurde es mir gewiss, dass alles die ausgezeichnete Tüchtigkeit
einzelner Bürger zu Stande gebracht hatte, dass es dadurch
so gekommen ist, dass die Armut über den Reichtum, die geringe
Zahl über die große den Sieg errang. (5) Aber nachdem durch
Verschwendung und Lässigkeit die <Moral der> Bürgerschaft
verdorben war, glich wieder der Staat durch seine Macht aus, was
schlechte Feldherrn und Beamten verdarben. Als hätte
sich die Kraft der Eltern erschöpft, gab es während langer
Zeit so gut wie überhaupt keinen herausragenden Leistungsträger
in Rom. (6) Doch in meiner Zeit lebten zwei Männer von außerordentlicher
Tüchtigkeit, aber entgegengesetztem Charakter, Marcus
Cato und Gaius
Caesar. Weil mich der Zusammenhang auf sie geführt hat,
beabsichtige ich nicht, stillschweigend an ihnen vorüberzugehen,
ohne beider Wesensart und Charakter, soweit ich das leisten kann,
zu schildern. |
(53,2)
Sed mihi multa legenti, multa audienti, quae populus Romanus domi
militiaeque, mari atque terra praeclara facinora fecit, forte lubuit
adtendere, quae res maxume tanta negotia sustinuisset. (53,3)
sciebam saepenumero parva manu cum magnis legionibus hostium contendisse;
cognoveram parvis copiis bella gesta cum opulentis regibus, ad hoc
saepe fortunae violentiam toleravisse, facundia Graecos, gloria
belli Gallos ante Romanos fuisse. (53,4)
ac mihi multa agitanti constabat paucorum civium egregiam virtutem
cuncta patravisse, eoque factum, uti divitias paupertas, multitudinem
paucitas superaret. (53,5)
sed postquam luxu atque desidia civitas conrupta est, rursus res
publica magnitudine sui imperatorum atque magistratuum vitia sustentabat ac, sicuti effeta parentum vi, multis tempestatibus
haud sane quisquam Romae virtute magnus fuit. (53,6)
sed memoria mea ingenti virtute, divorsis moribus fuere viri duo,
M. Cato et C. Caesar. quos quoniam res obtulerat, silentio praeterire
non fuit consilium, quin utriusque naturam et mores, quantum ingenio
possum, aperirem. |
LIV (1) Abstammung,
Alter, Beredsamkeit waren ihnen annähernd gleich. Gleich
war ihre Beherztheit, ebenso auch der Ruhm, doch von verschiedener
Art: (2) Caesar galt wegen seiner Wohltätigkeit und Freigebigkeit
für groß, wegen seiner persönlichen Integrität Cato. (3) Caesar gewann durch Schenken, Helfen und Verzeihen Ruhm, Cato dadurch, dass er nichts nachsah. Caesar bot den Unglücklichen Zuflucht, Cato bereitete den Schlechten Verderben. An Caesar rühmte man die Umgänglichkeit, an Cato die Beständigkeit. (4) Endlich lag es in Caesars Sinn, sich bei Tag und Nacht abzumühen, zu wachen; über
Anstrengungen für die Interessen seiner Freunde vergaß
er die eigenen, nichts schlug er ab, was ein würdiges Geschenk
sein konnte. Er wünschte sich ein Kommando, ein Heer,
einen außergewöhnlichen Krieg, in dem seine Stärke
erstrahlen konnte. (5) Dagegen ging Catos Bemühen auf Einfachheit und Ehrbarkeit, aber vor
allem auf Tugendstrenge. (6) Er suchte nicht den Reichen an Reichtum,
den Parteimann an Parteilichkeit zu überbieten, sondern den
Tüchtigen an Sittlichkeit, den Bescheidenen an Zurückhaltung,
den Ehrlichen an Enthaltsamkeit; gut sein wollte er, nicht scheinen:
und so holte ihn der Ruhm, je weniger er ihm nachjagte, um so mehr
ein. |
(54,1)
igitur iis genus, aetas, eloquentia prope aequalia fuere, magnitudo
animi par, item gloria, sed alia alii. (54,2)
Caesar beneficiis ac munificentia magnus habebatur, integritate
vitae Cato. ille mansuetudine et misericordia clarus factus, huic
severitas dignitatem addiderat. (54,3)
Caesar dando sublevando ignoscundo, Cato nihil largiundo gloriam
adeptus est. in altero miseris perfugium erat, in altero malis pernicies.
illius facilitas, huius constantia laudabatur. (54,4)
postremo Caesar in animum induxerat laborare, vigilare; negotiis
amicorum intentus sua neglegere, nihil denegare, quod dono dignum
esset; sibi magnum imperium, exercitum, bellum novom exoptabat,
ubi virtus enitescere posset. (54,5)
at Catoni studium modestiae, decoris, sed maxume severitatis erat;
(54,6) non divitiis
cum divite neque factione cum factioso, sed cum strenuo virtute,
cum modesto pudore, cum innocente abstinentia certabat; esse quam
videri bonus malebat: ita, quo minus petebat gloriam, eo magis illum
adsequebatur. |
LV (1) Nachdem sich,
wie gesagt, der Senat Catos Antrag angeschlossen hatte, erachtete es der Konsul als das Zweckmäßigste,
die bevorstehende Nacht sofort zu nutzen, damit nicht in diesem
Zeitraum ein Aufstand versucht würde. Er befiehlt also den Triumvirn,
die für die Hinrichtung erforderlichen Vorbereitungen zu treffen. (2)
Er ließ Wachposten aufstellen und führte persönlich Lentulus ins Gefängnis; (3) mit den übrigen verfahren
die Praetoren entsprechend. Im Gefängnis befindet sich, wenn man etwas nach links hinaufgeht, das so genannte Tullianum,
ein Raum, der ungefähr zwölf Fuß in die Erde eingelassen
ist. (4) Ringsum ist er ausgemauert und hat oben eine durch steinerne
Bogen getragene gewölbte Decke; sein Äußeres aber
erregt durch Schmutz, Finsternis und Geruch Ekel und Schauer. (5) Nachdem Lentulus in diesen Raum hinabgebracht war, schnürten ihm
die Henker mit dem Strick die Kehle ab. (6) So fand er , ein Patrizier
aus dem glanzvollen Geschlecht der Cornelier,
der in Rom die Konsulwürde bekleidet hatte, ein durch seine
Sitten und Taten verdientes Lebensende. An Cethegus, Gabinius und Caeparius wurde die Todesstrafe in gleicher Weise vollzogen. |
(55,1)
Postquam, ut dixi, senatus in Catonis sententiam discessit, consul
optumum factu ratus noctem, quae instabat, antecapere, ne quid eo
spatio novaretur, tresviros, quae ad supplicium postulabat, parare
iubet. (55,2) ipse
praesidiis dispositis Lentulum in carcerem deducit; (55,3)
idem fit ceteris per praetores. est in carcere locus, quod Tullianum
appellatur, ubi paululum ascenderis ad laevam, circiter duodecim
pedes humi depressus; (55,4)
eum muniunt undique parietes atque insuper camera lapideis fornicibus iuncta; sed incultu tenebris odore foeda atque terribilis eius facies
est. (55,5) in eum
locum postquam demissus est Lentulus, vindices rerum capitalium,
quibus praeceptum erat, laqueo gulam fregere. (55,6)
ita ille patricius ex gente clarissuma Corneliorum, qui consulare
imperium Romae habuerat, dignum moribus factisque suis exitum vitae
invenit. de Cethego, Statilio, Gabinio, Caepario eodem modo supplicium
sumptum est. |
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Sententiae excerptae:w43 |